Tagebuch von Maria Magdalena Winkler-Hermaden - Teil 2

Lebenserinnerungen der Maria Magdalena (genannt Helene) Winkler-Hermaden

TEIL 2 – „Herr Rittmeister möge leben, ich mag das nicht erben“

Zwei Bekannte von Herrn Rittmeister habe ich inzwischen kennen gelernt. Frl. K. war eine Schneiderin und machte mir Kleider. Im Charakter war sie aber nicht gut und hatte immer wieder was an Herrn Rittmeister zu kritisieren, also war nicht meine Freundin. Die zweite, Fräulein Poldi H., eine gute Seele, die sehr anständig und fein war, war wohl etwas dumm. Da sie aber tadellose Umgangsformen hatte, merkte man dies nicht. Ich wurde dann in Graz bei ihrer Mutter eingeladen und behielt sie als Freundin. Es war eine aufrichtige Freundschaft. Inzwischen hat sich mit dem Frl. Paula bzw. Frau del C. und Herrn Rittmeister etwas zugetragen, was weiß ich nicht, jedenfalls wurde jeder Verkehr abgebrochen und auch der Briefverkehr unterblieb. Dies war im Winter 1917 auf 1918.

Im Frühjahr wurde der Rittmeister immer schlechter. Er überließ mir ganz die Wirtschaft, auch hat er mich mit der nötigen Vollmacht ausgestattet, auch um eventuell einen Verkauf durchführen zu können. Der Arme nahm nicht mehr sehr viel Anteil an der Wirtschaft, es lag aber jetzt alles auf meinen Schultern. Ich machte alles von Herzen gerne und so gut ich es verstanden habe.

Mit der Zeit wurde es doch bekannt, dass ich mit allen Rechten ausgestattet wurde (wahrscheinlich durch den Notar), sodass eines Tages der M. an mich herantritt mit folgenden Worten: „Wissens Fräulein, ich will Ihnen nur Gutes tun, Sie haben ja die Vollmacht und können ein Geld aufnehmen und das Geld für sich behalten, der Rittmeister stirbt bald und Sie können dann wieder fortgehen ohne einen Kreuzer, der Mann gibt Ihnen sicher keinen Kreuzer. Ich verhelfe Ihnen zu dem Geld, etwas geben Sie mir dann, davon braucht kein Mensch etwas wissen. – An dieser Stelle muss ich einfügen, dass ich mein ganzes Leben also bisher anständig und treu war. Nicht um die ganze Welt hätte ich so etwas gemacht. Ich besaß zu dieser Zeit 2000 Kronen erspartes Geld und wenn ich auch gar nichts gehabt hätte, wäre mir so etwas nicht eingefallen. Herr Rittmeister war sehr sparsam, um manchmal nicht gerügt zu werden, habe ich verschiedene Ausgaben aus der eigenen Tasche bezahlt. – Ich war sehr entrüstet über dieses Ansinnen, fuhr M. an, was er sich eigentlich von mir denke und halte. Ich bekomme mein Gehalt (100 Kronen) und mache nur meine Pflicht und brauche doch weiter nichts. Dass ich mit Freude hier arbeite, ist meine Sache und ich rechne nie auf eine besondere Entschädigung. Der Mann wurde kreideweiß, war ganz weg, dass er auf eine Unrichtige gestoßen ist, es war ihm sehr unangenehm und entschuldigte sich sehr und bat mich inständig, nichts dem Herrn Rittmeister zu sagen. M. sagte, er wollte es mir nur gut meinen, Herr Rittmeister kann so nichts ins Grab mitnehmen und mir wäre geholfen. – Gleich an dieser Stelle will ich bemerken, dass, als M. am Sterbebett lag, mich zu sich bitten ließ und mich einige Stunden vor seinem Ableben nochmals über sein damaliges Ansinnen inständig um Verzeihung gebeten hat. – Ob ich dem Herrn Rittmeister etwas erzählt habe, kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich glaube aber kaum, da der Rittmeister schon sehr schwer krank war und ich ihn nicht beunruhigen wollte. Nun ging von verschiedenen Seiten ein Jagen nach der Beerbung von Herrn Rittmeister los.

Ich glaube, etwas Ähnliches musste sich zwischen Frau del C. und Rittmeister ergeben haben, da er eines Tages durch Frl. Lehrerin G. an die Paula schreiben ließ, dass er sich weitere Briefe verbiete, auch das Frl. Kobula darf sie nicht belästigen. Nun schrieb eines Tages – vorher wiederholte persönliche Vorsprachen – der frühere Besitzer Wimmer, der es nicht verschmerzen konnte, dass er den Besitz verkaufte, er möge ihm den Besitz auf Ableben verkaufen. Der arme Mann sah, wie ihm die Leute zusetzten, da es zu Ende geht.

Im Laufe des Sommers ist es immer schlechter geworden. Herr Rittmeister erlitt auch wiederholt Schlaganfälle. Nun war er ruhelos. Ich musste mich ganz der Pflege widmen, denn er wollte sonst niemanden um sich haben als mich. Auch musste ich das Essen selbst kochen und vor ihm immer davon zuerst kosten, er hatte Angst, dass ihn vielleicht jemand etwas antut. Dann hat er aber immer mit Freude gegessen. Um die Wirtschaft konnte ich mich jetzt nicht so viel kümmern, aber am Hofe war ein deutscher Leutnant namens „Rölz“ mit 20 Mann tschechischer Mannschaft zur Arbeit kommandiert. Er war rührend und machte mir in der Wirtschaft alles, auch die Wege machte er mir alle und da konnte ich mich mit Ruhe ganz der Pflege widmen. Der Zustand wurde immer ernster.

Neuerdings kam Herr Rittmeister von Graz und hoffte, es wird in Kapfenstein besser werden. – Vor kurzem lese ich in der Zeitung über einen Prozess, wo die Hinterbliebenen einem Wirtschaftsfräulein auf einem Schloße anklagen und beschuldigen, es fehle dies und jenes, damit es nicht mir auch einmal so gehen sollte, bat ich den Rittmeister, er möge unbedingt seine Vermögenssachen in Ordnung bringen, er brauche ja deshalb nicht sterben. Auch der Arzt fragte mich, ob eine letztwillige Verfügung da ist. Ich musste dies verneinen.

Nun eines Tages verlange Herr Rittmeister selbst, ich möge an den Rechtsanwalt Dr. K. schreiben, er möge wegen des Testaments herauskommen. K. war verhindert, es kam Dr. O., der Notar von Fehring mit dem Arzt Dr. B. Das war einige Tage vor seinem erfolgten Tod. Dr. B. fragte verschiedenes und stellte fest, dass er auch vollkommen klar im Kopf ist, ich war im Zimmer anwesend. Da es mir aber unangenehm war, im Zimmer drinnen zu bleiben, so fragte ich, ob ich hinausgehen kann. Auch der Arzt fragte den Rittmeister, ob ich anwesend sein soll, darauf die Antwort des Rittmeisters, Fräulein kann ruhig im Zimmer bleiben, ich habe keine Geheimnisse, er will nur ein gutes Werk tun, da seine noch lebende Schwester selbst genügend Vermögen hat und auf sein Vermögen nicht wartet. Mir war es aber doch unbehaglich, da ich mir dachte, sie werden glauben, ich warte auf etwas, so ging ich doch lieber aus dem Zimmer hinaus.

Draußen wartete auch der Mann aus Fehring namens H. um Streu. Ich sprach mit ihm. Auf einmal werde ich in das Zimmer gerufen und soll genau meinen Namen sagen. Ich sagte und dachte mir dabei: Herr Rittmeister wird mir irgendeine Kleinigkeit festlegen, was ich schließlich nichts Absonderliches fand. Ich habe mir gedacht, vielleicht irgendein Möbelstück und vielleicht 1000 Kronen für die erste Zeit. Ich ging wieder hinaus. Daraufhin wurde ich gefragt, wer hier wäre, um als Zeuge das Testament zu unterfertigen. Da wurde der Herr H. hereingerufen. Da das Testament vor der Unterfertigung vorgelesen werden musste, ging ich wieder hinaus. Nachdem alles fertig wurde, fiel mir auf, dass die Herren besonders artig zu mir waren. Die Leute waren zwar sonst auch artig, aber diesmal sagten sie zu mir „gnädiges“ Fräulein, dieses Wort ist mir sofort aufgefallen, nur ich dachte, weil mich der Herr Rittmeister im Testament genannt hat. Dann ging ich in den Wald mit dem H., um Streu zu vergeben. Da sagte der Mann, mir wird Herr Rittmeister sicher etwas vermachen. Ich sagte ihm darauf, dass ich nichts erwarte und auch nichts brauche.

Herr Rittmeister wurde immer schlechter. Hier muss ich bemerken, dass ich Anfang Oktober träumte, ich gehe im Wald gegen die Quelle, war schwarz, also in Trauer gekleidet und war sehr traurig. Da lag eine Föhre umgeschnitten und darauf stand Ludwig Arendt. Da wusste ich, es gibt keine Rettung mehr für ihn, was mir sehr leid tat. Nichts hätte ich lieber auf der Welt gehabt, als wenn der Rittmeister wieder gesund geworden wäre.

Vier Tage vor seinem Tod sagte er zu mir, ich soll mich an den Schreibtisch setzen und schreiben, was er mir diktieren wird. Nun fängt Herr Rittmeister an. Ich, Frl. Kobula, verpflichte mich … usw. Ich schrieb eine Zeitlang, aber es wurde mir alles ganz unklar und dachte, Herr Rittmeister ist übergeschnappt. Es wurde für mich immer konfuser. Nun sagte ich aber, dass ich das Ganze nicht verstehe, ob er sich vielleicht nicht irre. Da sagte er zu mir „Nein, mein gutes Kind“ – dabei hat er aber Tränen in den Augen und wischte sie mit der Hand ab – „Sie waren immer so gut, fleißig und ehrlich, so klug, dass ich ein gutes Werk machen will in meinem Leben, ich machte sie zu meiner Universalerbin, d.h. sie bekommen nach meinem Tod alles, wie das Schloss liegt und steht.“ Ich war ganz weg und machte Einwände, er irrt sich, ich war doch nicht brav und klug, er hat sich immer mit mir geärgert und gesagt: „Ach Fräulein, sind Sie dumm!“ „Ja, es ist richtig, dass ich das immer sagte, aber ich habe es aus diesem Grund gesagt, damit sie nicht übermütig werden. Ich war sehr zufrieden mit ihnen Fräulein, denn sonst hätte ich nicht immer in Graz sein können.“ Daraufhin hat er mir das Testament zu lesen gegeben und sagte, so lange er lebe, möge es auf seinem Nachtkastl liegen. Seine goldene Uhr mit Kette gab er einem mir bekannten Herren, der ihm während meines Kapfensteiner Daseins in Graz öfter Gefälligkeiten, im besonderen in der Krankheit, getan hat. Ich habe begreiflicherweise nur geweint auf das hin und betete zu Gott, Herr Rittmeister möge doch am Leben bleiben, es ist mir das viel lieber, ich mag das nicht erben, ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Ich danke ihm herzlich mit einem Kuss und bat ihn, er möge alle Medizinen nehmen und festen Willen zum Gesundwerden haben, damit ich es nie erben brauche. Von dieser Stunde an sorgte er so unendlich väterlich für mich, dass für mich das Leben sehr schwierig wurde. Alle guten Ratschläge erteilte er wegen der Führung des Besitzes, wegen einer eventuellen Verheiratung etc. Er sagte zu mir, ich werde jetzt viel umworben werden, aber ich soll ja klug handeln, denn viele werden nur wegen meines Besitzes um meine Gunst werben. Weiters gab er mir drei Vermächtnisse auf. Leider habe ich nicht alle beherzigt. Der eine ist aber fest, sein Wille war es, nach Möglichkeit den Besitz nicht zu verkaufen, sondern selbst zu bewirtschaften. Herr Rittmeister hängte sehr an dem Besitz, er liebte ihn und er starb deshalb leicht, da es ihm vergönnt war, bis zu seinem Tod in Kapfenstein sein zu können.

Herr Rittmeister trug mir Wünsche über seine Beerdigung vor. Er wollte in Graz auf dem evangelischen Friedhof begraben sein, seinen Leichnam soll niemand besichtigen. Kleine Verbindlichkeiten trug er mir auf. Ich wollte ihm noch etwas Liebes tun und fragte ihn, ob ich mich mit Fr. del C. befreunden soll, da sagte er daraufhin „nein“, denn diese Frau hat Haare auf den Zähnen. Da muss ich noch bemerken: Es dürfte zehn Tage vor dem Tode sein, kam auf einmal ein Brief von Fr. del C. Der Arzt gab mir aber schon seit zwei Monaten den Auftrag, keine aufregenden Briefe oder Berichte an den Rittmeister auszufolgen, den jede Aufregung kann einen neuen Schlaganfall auslösen. Als dieser Brief kam, gab ich ihn nicht dem Herrn Rittmeister, da ich wusste, die Briefe regen ihn auf, sondern ich hob den Brief geschlossen auf und schrieb an Fr. del C., dass Herr Rittmeister schwer krank sei und ich ihm ihre Briefe wegen der Aufregung nach ärztlicher Verordnung nicht verabfolgen darf. Nach einer Zeit schrieb sie nochmals einen Brief und gleichzeitig auch an mich und zwar folgendes: Sie drohte mit Anzeige, wenn ich die Briefe an Rittmeister nicht ausfolge und sie wird keine Wege und Mittel unversucht lassen, dass die Briefe, die sie schreibt, dem Rittmeister ausgefolgt werden. Dieser Brief kam aber am Vortag des Todestages an, am nächsten Tag starb Rittmeister und ich teilte ihr den leider eingetretenen Tod des lieben Rittmeisters mit. Nun wird sie sich wohl überzeugt haben, dass Rittmeister wirklich schwer krank war und ich mit Recht aufregende Briefe zurückhielt. Ich teilte ihr auch die Begräbnisstunde mit. Beim Begräbnis war sie nicht, wohl gab sie schöne Blumen zum Sarg.

Es wurde wunschgemäß niemand von dem Tode benachrichtigt, so weiß ich mit Sicherheit, die Blumen waren von Fr. del C. Im Leben haben mich die Leute immer für schlechter gehalten, in Wirklichkeit war ich aber ein redlicher Mensch, grundehrlich und die Güte selbst. Am 10. November 1918 an einem Sonntag um ½2 Uhr Nachmittag hauchte der gute Rittmeister seine Seele aus. Gleich in dem Moment kam sein Freund, den er schwer erwartet hat aus Gleichenberg, wollte Rittmeister besuchen, leider zu spät. Ich befreundete mich mit der ganzen Familie Glückstein. Die Beerdigung fand ein paar Tage später in Graz statt. Der evangelische Pfarrer hat eine schöne Ansprache gehalten. Beim Begräbnis war meine Schwester Luise, Toni, Nichte Rosi Denog, Frau Rölz, eine Bekannte von Rittmeister und Frau Grubbauer. Ich war sehr traurig und weinte immerfort. Wegen des Besitzes wusste ich überhaupt nicht, was ich damit anfangen sollte. Die Leute waren sehr neugierig, wer den Besitz geerbt hat, erst nach Monaten ist es durchgesickert, dass ich die Universalerbin bin.

Gleich nach dem Tode kamen Leute zu mir, ich soll ihnen dies und jenes verkaufen. Als Rittmeister starb, sagte der Kaufmann R., wenn jemand den Rittmeister gleich wegfährt, gibt er ihm ein schönes Trinkgeld. Dies erzählte mir der P., der gleich am nächsten Tage heraufkam, um von mir billig Eschen abzukaufen. Die Leute wussten ja nicht, dass ich die Besitzerin bin. Die Aussprache des R. hat mich sehr verletzt und ich sagte, dass es eine Gemeinheit ist, noch ist er hier. P. entschuldigte sich und meinte, er hätte nicht gedacht, dass mich das so verletzte, sonst hätte er es mir nicht gesagt. Große Freundschaft habe ich mit R. nie gehalten. Ich habe so richtig die Leute von zwei Seiten kennen gelernt. Sie waren nicht meine Freunde. Als nun die Leute alle wussten, dass ich die Erbin bin, gingen die Gehässigkeiten an. Gleichzeitig ist auch der Zusammenbruch gekommen.

Hier geht es zum dritten Teil.